Kontaktsperre? Warum Ex-Partner Funkstille wollen.
Von Funkstille, Sendepausen, Kontaktsperren und Ghosting
In 'Bei Trennung: Kontaktabbruch?' ging es darum, warum der Kontaktabbruch nach einer Trennung kein Königsweg für alle Menschen ist. Hier finden Sie nun mögliche Erklärungen dafür, wieso die Funkstille für manche Menschen jedoch der best- oder gar einzig mögliche Weg nach einer Trennung zu sein scheint.
Häufige Ursachen für Kontaktsperre und Funkstille nach Trennungen
Ob die Kontaktsperre nach einer Trennung uns als passende Lösung erscheint, ist erstmal eine Typ-Frage. Manchen Menschen tut sie einfach gut, andere wählen sie aus Mangel an Alternativen, und einige umgehen damit gezielt eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Sicht der Ex-Partner:in. Für die Einen ist die Begegnung mit dem bzw. der Ex zu schmerzhaft oder gar bedrohlich, für andere einfach lästig.
Psychologisch lässt sich die Strategie der Kontaksperre häufig mit unterschiedlichen Ansätzen erklären, die sich teilweise überschneiden:
Konfliktvermeidung, weil im Elternhaus „nie gestritten“ wurde:
Menschen, die nicht gelernt haben, konstruktiv mit Konflikten umzugehen, oder sogar große Konfliktangst haben, wissen sich bei Trennungen oft nicht anders zu helfen, als – allein oder mit neuer Partner:in – abzutauchen. Die tieferen Ursachen liegen häufig in der Herkunftsfamilie. Zum Beispiel wenn dort viel mit Schweigen und Liebesentzug gestraft wurde und/oder eine extrem harmonisierende Atmosphäre herrschte, in der Probleme konsequent unter den Teppich gekehrt wurden.
Ständige Konfliktvermeidung führt zudem fast zwangsläufig zu Ausweichstrategien, die nicht selten in Ausreden, Halbwahrheiten oder Lügen münden. Irgendwann erscheint die völlige Kontaktsperre dann vielleicht nahezu unvermeidlich, um dem Wirrwar der eigenen 'alternativen Fakten' zu entkommen und 'nicht aufzufliegen'. Oder um dafür dank des 'Wegseins' zumindest keine Verantwortung übernehmen zu müssen.
Konfliktvermeidung nach frühen Gewalterfahrungen:
Auch das Gegenteil von vermeintlich heiler Welt und Eierkuchen kann von kleinauf Konfliktängste schüren: Wer im Elternhaus geprügelt wurde, lernt zunächst nicht, dass und wie Konflikte lösbar sind. Gewalterfahrungen führen häufig entweder zu eigener Gewalt oder dazu, eigene aggressive und ärgerliche Regungen besser gar nicht erst wahrzunehmen. Auch die nicht, die nötig wären, um einen Konflikt zu wagen. Viele dieser Menschen sind traumatisiert, auch wenn dies im normalen Alltag nicht deutlich wird. Doch in Konflikten oder grenzüberschreitenden Situationen wie Trennungen, wird die alte Verletzung getriggert. Das Gegenüber wird dann schnell als feindlich wahrgenommen und die Ohnmacht von damals prägt das aktuelle Erleben. Alles 'gute Gründe', ganz schnell abzutauchen und den Kontakt zu vermeiden.
Unwille, sich mit sich selbst zu beschäftigen:
Eine wohlwollende Auseinandersetzung kann helfen, sich im Guten voneinander zu trennen. Denn wer sich auseinandersetzt, stellt die eigenen Gedanken und Gefühle neben (!) die des Anderen: Er trennt und vergleicht beide Sichtweisen, ohne das 'Fremde' abzuwehren. Hier können wir klären, was deins ist und was meins. Wie hab ich dich erlebt und wie du mich? Was hatten und haben wir gemeinsam, und was trennt uns? Wie ticke ich? Wie bist du? Woran sind wir – und eben auch ich – gescheitert? Welche wunden Punkte hast du bei mir angerührt? Was löst eine nahe Beziehung in mir aus, was deren Ende? Mit welchen, sonst gut verborgenen Schattenseiten komme ich dabei in Berührung?
Wer die tieferen Schichten der eigenen Persönlichkeit fürchtet, hat viele Gründe, sich Trennungsgesprächen zu entziehen. Denn hier käme er fast sicher mit ihnen in Kontakt.
Unsicherer Bindungsstil:
Manche Menschen vermeiden Nähe, auch wenn sie jahrzehntelang als Paar leben, weil sie schon früh gelernt haben, dass die wichtigsten Beziehungen nicht verlässlich waren. Abhängigkeit macht ihnen Angst. Die Bindungstheorie spricht dann u. a. von einem vermeidend unsicheren Bindungsstil. Menschen, die davon betroffen sind, regulieren sich in Stresssituationen am liebsten allein oder mit Menschen, die ihnen seelisch nicht zu nahe kommen.
Oft sind es die 'einsamen Wölfe', die sich nicht gern helfen lassen und ihre Angelegenheiten lieber allein regeln, als sich mit anderen auszutauschen. "Die Erfahrungen ihrer Kindheit haben in ihnen die Überzeugung entstehen lassen, dass Abhängigkeit nur zu Enttäuschung, eklatantem Scheitern der Feinabstimmung aufeinander, Gleichgültigkeit, inneren Qualen und Beschämung führt." (Solomon/Tatkin 2013: 119, s. u.)
Schizoide und narzisstische Persönlichkeiten:
Menschen mit narzisstischer und/oder schizoider Persönlichkeit sind meist Meister:innen des Kontaktabbruchs. Beides ist in der Regel eine Charakterfrage. Starker Narzissmus kann jedoch auch pathologisch sein, also als psychische Erkrankung bzw. Persönlichkeitsstörung gelten (Stand: 2021).
Schizoid bedeutet (ähnlich wie beim vermeidenden Bindungsstil): Lieber in 'sicherer' Distanz zu anderen Menschen zu bleiben. Intensive Nähe und Hingabe wirken bedrohlich für die eigene Autonomie, als ‚Ich-Verlust‘. Es entsteht schnell Angst, vereinnahmt zu werden und im Wir unterzugehen.
Schizoid gestrickte Menschen wirken meist kühl und kontrolliert und haben teilweise wenig Zugang zu ihren Gefühlen: Wer Zuhause kaum Resonanz auf seine Emotionen bekam, hat einfach seltener gelernt, diese gut wahrzunehmen. Das gilt ebenso, wenn die Eltern kaum eigene Gefühle zeigten und eher eine kühle, rationale Atmosphäre die Familie prägte. Als Erwachsene sind sie sehr gut in der Lage, emotionale Aspekte abzuspalten. Genauso abgespalten fühlen sich bei Trennungen dann allerdings oft die (Ex-)Partner:innen. Denn dann ist eben absolute Sendepause.
Über narzisstische Persönlichkeiten wurde in den letzten Jahren viel geschrieben, der Begriff heute daher inflationär gebraucht. In der Beziehung suchen sie (grob gesagt) jemanden, der bestimmte Funktionen für sie erfüllt (Versorgung, schöne Begleitung, Einsamkeit vermeiden etc.). Sie interessieren sich nicht wirklich für den ganzen Menschen, sondern nur für die Aspekte, die sie gut gebrauchen können, um ihr (im Kern labiles) Selbstwertgefühl zu stärken. Daher trennen sie sich recht schnell und radikal, wenn die Partnerin die Funktionen, für die sie gewählt wurde, nicht mehr erfüllt (z. B. älter, krank, arbeitslos oder eigenständiger wird), oder auf andere Weise die tief verwurzelten Selbstwertzweifel triggert.
Je narzisstischer ein Mensch tickt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er nur die eigenen Bedürfnisse sieht und sich schlicht nicht mit den Gefühlen der Ex-Partnerin belasten will. Dann braucht er 'gaaanz dringend Abstand', um 'zur Ruhe zu kommen', 'nachzudenken' .... und sich ganz schnell abzulenken.
Gewalterfahrung in der Beziehung:
Natürlich sind nicht immer die Eltern schuld ;). Manchmal ist die Beziehung selbst von seelischer oder körperlicher Gewalt geprägt. Dann ist der Kontaktabbruch der dringend notwendige, gesunde Schritt heraus aus einer ungesunden Partnerschaft.
Die Regel: Abwehrmechanismen sind Selbstschutz und Lösungsversuche
So schlimm die Wirkung der Kontaktsperre auf den fortan gemiedenen Ex-Partner auch sein mag: In vielen Fällen sind Kontaktabbrüche eine Art aggressiver Notreflex: Ein fast automatischer Selbstschutz, da andere Lösungsmöglichkeiten fehlen. Was dann fehlt, ist die Fähigkeit mit Konflikten umzugehen oder auch mit den eigenen Ängsten vor Nähe, Selbsterkenntnis, den eigenen Schattenseiten, 'Defiziten' etc. Oder es fehlt bereits die Fähigkeit, tatsächlich eine tiefe Bindung zu einem anderen Menschen einzugehen, bei der dieser nicht nur die oben genannten Funktionen erfüllt.
Das Tragische: Je größer diese Ängste sind, desto weniger sind sie den Betroffenen oft bewusst. Denn unsere Psyche schützt uns mittels sogenannter Abwehrmechanismen vor Erkenntnissen, die unser Wohlbefinden und Selbstwertgefühl gefährden. In Krisensituationen fahren diese oft schnell und unbewusst hoch wie eine Schutzmauer aus Beton und Stacheldraht. Sie prägen dann unser Erleben, Denken und Fühlen, unsere Wahrnehmung und unsere Erinnerungen.
Ob eine Beziehung gelingt oder nicht, entscheidet sich meines Erachtens vor allem an der Frage, ob wir mit den Abwehrmechanismen des Partners / der Partnerin zurecht kommen. Bei Trennungen gilt dies wohl noch mehr. Denn leider greifen wir gerade in Krisenzeiten auf unsere ältesten Abwehr- bzw. Notfall-Reaktionen zurück. Das Ergebnis sind dann zuweilen weitaus größere Verletzungen als die Trennung selbst, zum Beispiel, aber nicht nur bei Rosenkriegen.
Belastet die Kontaktsperre Sie so stark, dass Ihnen Unterstützung gut täte? Gern begleite ich Sie mittel- oder auch längerfristig mit einer Trennungsberatung in Münster oder online. Wollen Sie es erst gar nicht zur Trennung kommen lassen, dann kann eine frühzeitige Paartherapie in Münster oder eine Paarberatung online oft eine große Hilfe sein.
zu: Bei Trennung: Kontaktabbruch?
Oder weiterlesen?
- über Gesunde Liebe? Salutogenese für Paare
- über Konfliktlösungen: Wie Sie Konflikte leichter aushalten & nutzen
- wie Sie das Gedankenkarussel stoppen, wenn sich alles um den/die Ex dreht
Literaturtipps:
Zum Thema ‚Bindungsstile in Paarbeziehungen‘ (eher für Fachleute geeignet):
- Marion Solomon/ Stan Tatkin: Liebe und Krieg in Paarbeziehungen. Verbundenheit, Unverbundenheit und wechselseitige Regulation in der Paartherapie. (Paderborn 2013)
Über Liebesbeziehungen mit und zwischen narzisstisch geprägten Menschen:
- Bärbel Wardetzki: Eitle Liebe. Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können (München 2009)
- Marie-France Hirigoyen: Masken der Niedertracht. (München 1999)
Der tiefenpsychologische Klassiker zum Thema ‚so unterschiedlich ticken die Menschen‘:
- Fritz Riemann: Grundformen der Angst (von 1961! 41. Aufl.: München 2013)