Entschuldigung! – Von selbstgemachten Gefühlen, Ärger und Verletzungen
Bitte um Entschuldigung – aber wie?
Schlecht gewählte Worte eignen sich bekanntlich bestens, um Konflikte zu eskalieren. Im Streitfall dürfen Sie Ihre Formulierungen daher öfter mal auf die Goldwaage legen. Angenommen, Sie möchten jemanden richtig um Entschuldigung bitten, so macht es einen Unterschied, ob Sie sagen: „Bitte entschuldige! Es tut mir leid, dass ich mich so und so verhalten habe.“ oder „… Es tut mir leid, dass du verärgert bist. “.
Was genau tut Ihnen eigentlich leid, wenn Ihnen etwas leid tut?
Wo ein einfaches 'Pardon!' oder 'Sorry!' nicht reicht, ist heutzutage die zweite Variante beliebt: „Es tut mir leid, dass du verärgert bist.“. So drücken wir (wenn es gut läuft) zwar Mitgefühl aus, übernehmen aber keine (Mit-)Verantwortung für die Situation des Anderen. Manchmal wollen wir genau das. – Um Entschuldigung bitten wir damit allerdings nicht. Denn das Problem ‚gehört‘ in dieser Denkweise dem Anderen; es sind eben seine Gefühle, für die er selbst verantwortlich ist.
Richtig um Entschuldigung bitten macht glücklich!
Bedauern Sie jedoch, was Sie selbst gesagt oder getan haben, kommt dies beim Anderen viel klarer an, wenn Sie Ihre Verantwortung auch deutlich zur Sprache bringen. Sätze wie „Es tut mir leid, dass ich xy getan habe.“ (… und dich damit verletzt habe; egal ob es meine Absicht war oder nicht ...) können Balsam für die Seele und damit ein Königsweg zu Verständigung und Versöhnung sein. Zudem steckt darin schon die Lösung dafür, wie Sie zukünftig besser miteinander umgehen können.
Halten Sie das für Haarspalterei? Nach meiner Erfahrung in Paartherapie und Supervision kann Präzision bei der Bitte um Entschuldigung wahre Versöhnungswunder bewirken.
„Don‘t give me that I‘m-sorry-if-you-feel bullshit.“
… sagt Mia, eine Patientin in der us-amerikanischen Serie ‚In treatment‘ zu ihrem Therapeuten (2. Staffel, 1. Woche). Damit bringt sie auf den Punkt, dass sie vom Therapeuten kein Mitgefühl will, sondern eine echte Bitte um Entschuldigung, also das Zugeständnis „Ja, da hab ich richtig Mist gebaut.“. – Vielleicht haben Sie ja schon mal ähnlich gedacht, z. B. wenn Sie vom gut geschulten Hotline-Personal ausgiebig bedauert wurden, ohne dass die zugehörige Firma in irgendeiner Form Verantwortung für ausgefallene Züge, defekte Telefonleitungen etc. übernommen hätte.
Richtige Bitte um Entschuldigung statt falsches Mitleid
Beliebt sind „Es tut mir leid, dass du...“-Sätze heutzutage ja auch, weil es immer wieder heißt, dass jeder Mensch für seine Gefühle selbst verantwortlich sei. Manchmal passt das gut, weil wir ja alle stets mit unserer eigenen emotionalen Geschichte auf etwas reagieren: Was den Einen verletzt, mag die Andere tatsächlich kalt lassen. Trotzdem gibt es natürlich mehr oder weniger rücksichtsvolle oder egoistische, vorsichtige oder unachtsame, faire oder gemeine Zeitgenossen. Eine echte Bitte um Entschuldigung fällt vielen schwer. Die simple Generalisierung des ‚Jeder macht seine Gefühle selbst.‘ hingegen passt ideal zu unserer individualistischen Kultur und ist umso bequemer, je egozentrischer man sich zu verhalten pflegt.
Kluge Erkenntnisse müssen unser Sozialverhalten nicht einschränken
Die These der ‚stets selbstgemachten Gefühle‘ wird gegenwärtig gern neurobiologisch untermauert. Verloren geht dabei die Frage, ob mich interessiert, wie ich auf andere wirke, bzw. was ich bei ihnen bewirke. Kurz: Ob ich soziales Verhalten und Gemeinsinn anstrebe oder primär um mich selbst kreise.
Ich persönlich finde es stets schade, wenn kluge Erkenntnisse übermäßig verallgemeinert und dann auf Situationen angewendet werden, wo Differenzierung uns viel weiter brächte. Z. B. wenn Menschen meinen „Deine Gefühle hängen ja ausschließlich davon ab, wie du mich interpretierst." Mitgemeint ist dabei nicht selten: "Egal, was ich mache, für die Wirkung auf dich bin nicht ich verantwortlich, sondern du. Warum sollte ich dich also um Entschuldigung bitten?“ Zuweilen werden Beleidigungen, Vertrauensbrüche und andere Gemeinheiten auf diese Weise schöngeredet. Naheliegend ist dann vor allem, dass unser Gegenüber nicht wirklich an uns und unserem Wohlergehen interessiert ist. Und das ist dann womöglich die klügste Erkenntnis in dieser Situation.
Eine Bitte um Entschuldigung ist weder Monolog noch Heldentat
Zum richtigen Entschuldigen gehört auch: Zuhören. – Fänden Sie es nicht auch angenehm, wenn ein Mensch, auf den Sie so richtig sauer oder von dem sie zutiefst enttäuscht sind, nicht nur seine eigene Entschuldigung bekundet, sondern auch Sie richtig zu Wort kommen lässt? Wäre es nicht schön, wenn er sich aufrichtig dafür interessierte, wie Sie den Affront erlebt haben und welche emotionalen und anderen Folgen dies für Sie hatte?
Wirkt die (Bitte um) Entschuldigung hingegen wie eine kleine Inszenierung der großmütigen eigenen Einsichtsfähigkeit, fördert dies nur selten die Glaubwürdigkeit. Gesteht man der geschädigten Person weder Ärger noch Wut zu, ist die Einsicht, etwas Blödes getan zu haben, womöglich nicht allzu groß. Von Reue ganz zu schweigen. Eine richtige Bitte um Entschuldigung, die sich Zeit nimmt für Empathie und Interesse, ist hingegen viel überzeugender.
'Richtig um Entschuldigung bitten' ohne Wenn und Aber
Eine Erklärung, warum man sich so richtig deppert oder unfair verhalten hat, kann helfen – vorausgesetzt sie kommt zur rechten Zeit. Und die richtige Zeit dafür ist in der Regel erst später, nicht sofort im Anschluss an die Entschuldigung. Der Satz "Ich bitte um Entschuldigung, aber ..." heißt eher so viel wie "ich entschuldige mich und erkläre dir jetzt mal, warum mich gar keine Schuld trifft."
Mag die Absicht noch so gut sein (zum Beispiel etwas zu erklären), so kontraproduktiv ist häufig die Wirkung: Die Bitte um Entschuldigung ist noch nicht verdaut, und schon fliegt der Fokus ans andere Ende des Spielfeldes. Thema ist dann eben nicht mehr das, was Person X enttäuscht, geärgert oder verletzt hat. Die ganz Cleveren weisen den Ärger von X auch gern konsequent als Folge falscher Interpretationen zurück – je nach Temperament mal empört, mal mit Überlegenheitspose. Ideal zu toppen ist die Themenverschiebung schließlich mit dem entrüsteten Hinweis, man werde sich ganz bestimmt nicht rechtfertigen. Prima! Wer möchte schon, dass der/die Andere sich rechtfertigt?
Die Worte "Ich entschuldige mich, wenn du ..." klingen ohnehin mehr nach Kuhhandel als nach einer richtigen Entschuldigung, oder? – Ja, manchmal braucht es auch etwas vom Anderen, um sich ehrlich entschuldigen zu können. Aber vermutlich ist es dann Erfolg-versprechender, dies auch so zu formulieren: "Ich würde gern ..., merke aber, dass ...".
Eine 'richtige Entschuldigung' kann auch nicht um des lieben Friedens Willen geschehen. Ein "Na gut, wenn es dir so wichtig ist, ..." macht Ihre Entschuldigung zum gesicherten Fehlstart. Übrigens lautete die vielleicht absurdeste Entschuldigung, die ich einmal gehört habe: "Ich weiß zwar nicht, was ich getan haben soll. Aber hiermit entschuldige ich mich für alles, was es vielleicht sein könnte." War das der ahnungslose Versuch einer Mutter, die Beziehung zu ihrer kreuzunglücklichen Tochter irgendwie zu kitten? Oder wollte die praktisch und effizient veranlagte Dame sich schlicht selbst die All-inclusive-Absolution aussprechen?
Besser spät als nie, aber am besten so früh wie möglich
Je eher ich aufrichtig um Entschuldigung bitte, desto weniger Zeit gebe ich Ärger und Verletzung, an einer guten Beziehung zu nagen. Je länger sich die negative Erfahrung aber in Kopf und Bauch des Anderen einnisten konnte, je häufiger sie schmerzhaft, bitter oder resigniert erinnert wurde, desto öfter konnten Situationen auf dieser Folie interpretiert und mit ihr verknüpft werden. Dabei kann die Wunde schnell größer werden, sofern sie nicht von selber heilt.
Doch manchmal merkt man eben erst Jahre später, welchen Mist man damals Anno-Tuck gebaut hat. Meines Erachtens ist es dann immer noch besser, die späte Einsicht zum Ausdruck zu bringen. Dies stößt zwar nicht stets auf offene Ohren, aber für mich ist es immer einen Versuch wert, den alten Irrtum zu korrigieren. Wer es nicht versucht, hat schon verloren.
Wer entschuldigt eigentlich wen oder was?
Habe ich so richtig Mist gebaut, dann kann ich mich nur 'richtig entschuldigen', indem ich mein Gegenüber um Entschuldigung bitte. Ob diese Bitte angenommen wird, liegt dann komplett bei ihm bzw. ihr. Manchmal braucht es Zeit, bis die Entschuldigung wirken kann. Und manchmal wird sie komplett abgelehnt. Nicht alles ist jederzeit für alle Menschen entschuldbar. Manchmal ist es einfach zu spät, oder es war (für diese Person) zu viel. Wenn Sie es ernst meinen mit einer Entschuldigung: Mit a) Geduld, b) nachhaltigen Veränderungen des problematischen Verhaltens und c) deutlichen Bemühungen den Fehler wieder gut zu machen, zeigen Sie dies viel glaubwürdger als mit einem beleidigten und/oder entnervten 'Ich hab mich doch entschuldigt! Was denn noch???" – frei nach dem Motto: Wie kann man nur so gierig sein?
Kein Grund für eine Bitte um Entschuldigung?
Angenommen Ihnen selbst würde es ganz anders gehen, wenn Sie auf der anderen Seite der Interaktion stünden? Wenn Sie dann nicht so gekränkt, verärgert oder fassungslos wären, ist das wirklich schön für Sie – aber gerade leider nicht maßgeblich: Ihr Gegenüber ist ein anderer Mensch mit einer anderen Geschichte, teilweise anderen Werten, Maßstäben und anderen alten Wunden, Abwehrmechanismen und Strategien als Sie. Deshalb kann nur jeder Mensch für sich selbst entscheiden, ob eine Entschuldigung passt, und wann 'es wieder gut ist'.
Aber Achtung: Wenn Entschuldigungen nicht mehr möglich sind, geht spätestens jetzt auch die gute Beziehung zu Ende. Wird die Schuld des Einen zum Machtmittel des Anderen, beginnt ein unerquickliches Miteinander. Oder der Eine büsst nun jahrelang für das, was er dem Anderen (jahrelang?) zugemutet bzw. angetan hat. Ein bisschen gruselig, oder?
Wenn die Bitte um Entschuldigung zum Dauerbrenner wird
Manche Menschen sind echte Profis darin, um Entschuldigung zu bitten. Sie haben Routine, denn sie tun beides immer wieder: das, wofür sie um Entschuldigung bitten, und die vielleicht sogar herzzerreißende Entschuldigung danach. Manche Paare meinen, darin immer wieder ihre Liebe füreinander zu spüren. Andere Menschen lieben vielleicht das Versöhungsdrama. Ob diese Muster gesund sind ist eine andere Frage.
Zu solchen Entschuldigungsserien kommt es häufig, wenn der Konflikt nicht als Chance genutzt wird: Um wirklich zu verstehen, was hier eigentlich immer wieder schief läuft, worum es unter der Oberfläche geht etc. Geht es um richtige Verletzungen, sollten beide Seiten sich vielleicht überlegen, was sie in dieser Arbeits- oder privaten Beziehung suchen. Inflationäre Entschuldigungen entwerten jede einzelne Entschuldigung. Sehe ich ständig Gründe, mich aufrichtig zu entschuldigen, wäre es wohl besser den Blick auf Gelegenheiten zur Vorbeugung zu richten. Wie sagte schon Shakespeare? "Wo Worte selten sind, haben sie Gewicht."
Entschuldigung & Friede, Freude, Eierkuchen?
Manchmal akzeptieren Menschen eine Entschuldigung vorschnell. Möglichst schnell wollen sie selbst die Kränkung tilgen, wieder zum 'normalen Leben' zurück kehren, nach vorne sehen und auch: bloß nicht nachtragend sein. Vor allem Letzteres ist natürlich ein hehres Ziel. Versöhnlich zu sein ist ein feiner Charakterzug und kann das Leben mit anderen Menschen enorm erleichern. Wenn es aber bedeutet, die eigenen (verletzten) Gefühle zu übergehen, kann es uns und/oder unsere Beziehungen auch belasten. Wenn Sie eine Entschuldigung zu schnell akzeptieren, verpassen Sie eine hervorragende Chance, Ihre Grenzen und Bedürfnisse deutlich zu vertreten – und Ihrer Beziehung auf diese Weise eine starke Basis zu geben.
Kurz, eine richtige Entschuldigung ist ...
- ehrlich, authentisch & konkret,
- weder Floskel noch Routine,
- weder Monolog noch Heldentat,
- begleitet von Einfühlung, Interesse, Geduld, Verantwortung & ja: Reue,
- gefolgt von Veränderung und ggf. Wiedergutmachung,
- am besten früh, aber besser spät als nie,
- nur eine Bitte,
- kein Kuhhandel,
- ... und nicht immer einfach.
Hoffen Sie eigentlich auf eine richtige Entschuldigung, aber statt dessen macht Ihr Gegenüber Sie immer wieder sprachlos? Vielleicht nutzt er oder sie dazu ja (bewusst oder unbewusst) klassische Ablenkungsstrategien. Hier erfahren Sie mehr über unfaires Verhalten und Gesprächstaktiken, bei denen es eher ums Gewinnen geht, als darum sich zu verständigen.
In Coaching, Supervision und Paartherapie können Sie genauer hinschauen, was Sie bei anderen und was andere bei Ihnen bewirken, was sich hinter Verletzungen und Ärger verbirgt und was Sie verändern möchten. Und natürlich auch, ob und wie Sie sich gegbenenfalls bei einem anderen Menschen so richtig entschuldigen möchten. Gern unterstütze ich Sie dabei in Münster & online.
Einen interessanten Einblick in unterschiedliche Erklärungsansätze dazu, wie Gefühle entstehen, finden Sie hier.