Wer zahlt was ins Solidarsystem ‚gesetzliche Krankenversicherung‘?
Sicher & solidarisch älter werden in der GKV?
Rund 1,5 Mio Selbständige zahlten 2023 freiwillig GKV-Beiträge. Sie ‚verbeitragten‘ ein mittleres monatliches Einkommen von rund 3.540 €. (Privat krankenversichert sollen hingegen nur 0,5 Mio Selbstständige sein.)* Diese 3.540 € entsprechen natürlich nicht dem mittleren Brutto-Einkommen, das sie als Selbstständige verdienen. Das muss deutlich geringer sein. Denn darin enthalten sind auch sämtliche anderen Einnahmen: vom Nebenjob über Zinsen, Dividenden, Mieteinnahmen bis zu Kontowechselprämien über 260 € etc. Das gilt für alle, die freiwillig gesetzlich krankenversichert sind, neben Selbstständigen also vor allem Rentner:innen und Studierende bis zu einem Jahresverdienst von (2024) 62.100 €. Danach werden auch Zinsen etc. nicht mehr von der GKV angerührt.
Wem schaden die ungerechten GKV-Beiträge besonders?
Wie viele Frauen und wie viele Männer von dieser ökonomischen Benachteiligung betroffen sind, wird bedauerlicherweise nicht erfasst. Es liegt jedoch mehr als nahe, dass die ökonomische Benachteiligung in der GKV vor allem Frauen trifft: Frauen sind schließlich diejenigen, die sehr viel öfter in schlechter bezahlten Branchen und/oder in Teilzeit arbeiten, um die Care-Arbeit für Kinder, Eltern und Schwiegereltern zu übernehmen. Und: Etwa ein Drittel der Frauen leidet früher oder später an starken Wechseljahresbeschwerden, die ebenfalls die Leistungsfähigkeit einschränken können. Autsch!
Würde die Politik hier eher reagieren, wenn diese Zahlen nach Geschlecht erhoben würden?
Was denken Politiker:innen?
Sicher, die gesetzlichen Kassen brauchen Geld. – Aber warum werden ausgerechnet die Menschen überdurchschnittlich zur Kasse gebeten (und so bei der Alterssicherung behindert), a) deren Verdienst sich in Grenzen hält und b) die freiwillig das Solidarsystem ‚gesetzliche Krankenversicherung‘ unterstützen? Was mögen sich die für das Gesetz verantwortlichen Politker:innen dabei nur gedacht haben? –– Okay, „Wer hat, dem werde gegeben.“ wird ja auch andernorts gern genommen. Aber ich wundere mich dennoch, wie ein so extrem ungerechtes System z. B. auch von grünen Politiker:innen hartnäckig verteidigt werden kann (siehe hier ab ca Min. 7:45).
Immer auf die Kleinen?
In vielen Branchen verdienen z. B. Solo-Selbstständige lange nicht so viel, wie manch schwarz-grün-rot-gelb-blaue Fantasie suggerieren mag. Honorare, wie sie an OGS, VHS und anderen öffentlichen Einrichtungen gezahlt werden, lassen erst recht niemanden reich werden, egal ob mit oder ohne Uni-Abschluss. Übrigens sind dies ebenfalls 'typische Frauen-Jobs'. Auch von solch bescheidenen Salären dürfen alle, die nicht der privaten Krankenversicherung anheim gefallen sind, zzt. also bis zu 20 % für Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Vom mittleren 3.540-€-Monatseinkommen also ca. 700 €. Sollte ihre flexible Alterssicherung über ETF etc. bereits Erträge abwerfen, werden diese eben auch schonmal um 20% gemindert – und so leider der Aufbau der Alterssicherung erschwert.
Risiko: Selbstständig älter werden in der GKV?
Ein anderes Beispiel: Gerda ist 65 Jahre und schon ewig selbstständig. Seit ein paar Jahren werden die ernsten ‚Wehwehchen‘ mehr, die Arbeitsenergie weniger. Vielleicht haben auch Corona oder Kriege zu viel Kraft geraubt. Oder der Klimawandel schlaucht ihren nicht mehr ganz jungen Körper. Die Wechseljahre waren und sind auch nicht ohne. Und vielleicht kümmert sie sich um ihre alten Eltern oder kranke Freund:innen. Oder von allem etwas und alles zusammen in jedem Fall zu viel. Auf alle Fälle schlägt sich all das – anders als bei Angestellten – blitzschnell im Einkommen nieder.
Bisher hat Gerda gut verdient, aber jetzt will und muss sie weniger arbeiten. Also rutscht ihr selbstständiges Einkommen deutlich unter die Beitragsbemessungsgrenze. Gottseidank hat sie gut vorgesorgt und erntet daher schon einige Nebeneinkünfte aus dem, was sie fürs Alter anspart. Den Höchstbeitrag darf sie ggf. dank Erspartem also trotzdem an ihre Krankenkasse zahlen. Es sei denn, sie huscht mit frischen 65 Jahren noch schnell in eine Stelle, in der sie dann pflichtversichert ist. Dann wird ihr Erspartes von den Krankenkassen ‚natürlich‘ nicht mehr angerührt.
(Klar: Auch private Krankenversicherungen können im Alter ein teurer bis unbezahlbarer Spaß werden. Aber die nennen sich auch nicht 'Solidarsystem'.)
... oder: Sozialabgaben fressen Alterssicherung auf
Doch: 'Je oller, desto doller' kommt es dann im nächsten Jahr: Gerda hat einen blöden Unfall. Also fällt sie mehrere Wochen aus. Anschließend hat sie 50% ihrer Kundschaft verloren, und verdient angesichts ihrer fixen Betriebkosten fast nichts mehr. Der (teure) Streit mit der Versicherung kann sich über Jahre hinziehen. Also verkauft sie ihre vor 30 Jahren erstandene Eigentumswohnung. Und schon wieder landet sie beim Höchstbeitrag, obwohl sie gerade kaum Geld mit der Selbstständigkeit verdient: Der Gewinn aus dem Wohnungsverkauf ist nämlich ebenfalls ‚beitragspflichtig‘, ... aber natürlich nur für freiwillig GKV-Versicherte. (Und das meines Wissens NICHT einmal inflationsbereinigt, oder?) Hätte Gerda also wie früher mit 65 in Rente gehen oder mit dem Verkauf warten können, bis sie als Rentnerin ganzjährig pflichtversichert ist, hätte sie den (vermeintlichen?) Gewinn komplett behalten dürfen. Wieder Pech gehabt. Ach, Gerda! Warum hast du dir das alles nicht früher überlegt? Na, zum Beispiel, weil die Gesetze damals anders waren.
Nun können wir uns nicht nur fragen, was an diesem Gesetz gerecht sein soll, sondern auch: Wer ist eigentlich so wahnsinnig, das alles in Kauf und hinzunehmen?
Mehr zum Thema finden Sie auch im letzten Beitrag, der die extrem ungerechten GKV-Beiträge von Selbstständigen im Vergleich zu Angestellten mit einem konkreten Beispiel belegt.
Mehr zum Thema erfahren Sie beim 'Verband der Gründer und Selbstständigen' (VGSD), z. B. darüber warum für selbstständige Frauen ein dreifacher Gender-Pay-Gap gilt. Der VGSD unternimmt viel für Gründer:innen und Selbstständige: Fortbildungen, Vernetzung, Informationen, Austausch und vor allem: Gespräche mit politischen Entscheidungsträger:innen zu Themen wie der hier behandelten massiven ökonomischen Benachteiligung Selbstständiger in der GKV.
* So die Auskunft der Bundesregierung vom 04.08.2023 auf eine ‚Kleine Anfrage‘ der Fraktion DIE LINKE (Bundestag Drucksache 20/7978).