Klärendes, Krasses & Kommunikatives im Blog

Profil, Positionierung, Lebensqualität als Freiberufler:in

von Dorle Weyers

Wer freiberuflich selbstständig ist, braucht eine starke Persönlichkeit, viel Gelassenheit und Klarheit darüber, was er oder sie richtig gut kann und sein will. Glücklich ist, wer ...

... tut was er bzw. sie wirklich kann, gerne macht und was ihn bzw. sie wachsen lässt. Das heißt auch: die eigenen Grenzen zu erkunden. Nicht nur im Sinne von 'Was kann ich nicht so gut?', sondern auch im Sinne von 'WAS WILL ich (lieber) nicht machen?'. Womit und mit welchen Menschen will ich meine kostbare Lebenszeit wirklich verbringen? Wofür lohnt es sich für mich persönlich, das nicht selten unsichere Abenteuer 'Selbstständigkeit' zu wagen? Alles annehmen, alles können und alles ertragen wollen, das sind vor allem gute Tickets Richtung Burn-Out. Und wenn Sie häufig für oder mit lauter Menschen arbeiten, die Sie eigentlich nicht mögen, und diesen am besten noch 'stets zu Diensten' sind, so hätten Sie dies auch als Angestellte:r haben können. Dann allerdings mit deutlich mehr Sicherheit.

In den folgenden Leseproben aus 'Kopfarbeit kalkulieren & verkaufen' finden Sie Ideen, wie Sie als Freiberufler:in nicht nur erfolgreich werden, sondern auch Sie selbst bleiben können:

 

"Soft Facts zur freien Identitätsfindung

Freiberuflich im flexiblen Drift?

Freiberuflerinnen arbeiten flexibel. Der Boom der ‚neuen Selbständigen’ ist eines von vielen Symptomen der veränderten Arbeitswelt. In seinem 1998 erschienen Essay ‚Der flexible Mensch’ analysiert Richard Sennett , was die Flexibilitäts-Forderung des ‚neuen Kapitalismus’ für das Leben der Menschen bedeutet. Er entzaubert den bislang so positiv besetzten Begriff und benennt die Konsequenzen moderner Arbeits- und Lebensformen.

Sennett verknüpft die Ergebnisse soziologischer und anderer Studien mit dem, was er in seiner Umgebung erfährt. So zeichnet er ein aufschlussreiches Bild des aktuellen gesellschaftlichen Klimas und erschließt die Wechselwirkungen zwischen Arbeitsstrukturen und menschlichem Befinden.

Er beschreibt die Unsicherheiten und Ängste von Menschen, denen es – arbeitsbedingt – an verlässlichen, kontinuierlichen Bindungen mangelt. Denn die steigenden Mobilitäts-Erfordernisse führen immer häufiger zu kurzfristigen und schwachen Bindungen am Arbeitsplatz wie im Privatleben.

Weiteres zentrales Merkmal des ‚neuen Kapitalismus’ ist für Sennett der Verlust von Routinen. Er erweitert den Blick, indem er die Risiken von Routinen um ihre Vorzüge ergänzt. Ihre ambivalente Wirkung bringt er in zwei Sätzen auf den Punkt: „Routine kann erniedrigen, sie kann aber auch beschützen. Routine kann die Arbeit zersetzen, aber auch ein Leben zusammenhalten.“

Sowohl starke Bindungen als auch Routinen ermöglichen dem Menschen laut Sennett, „einen sinnvollen Erzählrahmen für sein Leben zu schaffen“ (:54). Die aktuellen ‚flexiblen’ Lebensstile bergen hingegen das Risiko, „jede innere Sicherheit zu verlieren, in einen Zustand des Dahintreibens zu geraten“ (:22). Er verweist auf die immer kürzeren Halbwertzeiten unseres Wirtschaftlebens, die sich einerseits in Übernahmen und Entlassungswellen, andererseits in Netzwerk- und Projekt-Strukturen ausdrücken. Dabei kommt er zu dem Schluss: „Distanz und oberflächliche Kooperationsbereitschaft sind ein besserer Panzer im Kampf mit den gegenwärtig herrschenden Bedingungen als ein Verhalten, das auf Loyalität und Dienstbereitschaft beruht“ (:29).

Und: Die schwachen Bindungen von flexibler Teamarbeit & Co erschweren ernsthafte Auseinandersetzungen und erleichtern Machtspiele: „Die Fiktionen der Teamarbeit sind also durch ihren oberflächlichen Inhalt, die Konzentration auf den Augenblick, ihre Vermeidung von Widerstand und die Ablenkung von Konflikten und Machtausübung ausgesprochen nützlich. Tieferes Engagement, Loyalität und Vertrauen brauchen mehr Zeit.“ (:155).

Mit alldem müssen nicht zuletzt neue Freiberuflerinnen auf dem bewegten Arbeitsmarkt leben. In ihrem Berufsleben dominieren schwache Bindungen; Routinen werden zur Rarität, Veränderung und Neues zur Regel. Loyalität wird stets von ihnen erwartet, aber seltener gegeben. Bei alledem müssen sie ihre professionelle Identität immer wieder selbst herstellen und festigen, den sinnvollen Erzählrahmen für ihre (Zickzack-)Biografien in einer schnelllebigen Zeit schaffen.

Wundern Sie sich also nicht, wenn auch Sie im Arbeitsalltag Loyalität und Vertrauen vermissen oder über verdeckte Konflikte und Machtspielchen stolpern. Als Freiberuflerin stehen Sie automatisch außen vor und sind dennoch immer wieder betroffen. Wenn Ihnen das die Arbeit erschwert, erfreuen Sie sich zumindest an den Vorteilen: Seien Sie sicher, wenn Sie nach der Auftrags-Besprechung das Firmengebäude verlassen, werden Ihnen schon auf dem Flur die neidischen Blicke vieler Angestellten folgen. Genießen Sie die Vorzüge der Ungebundenheit im eigenen Büro.

Allein unter Systemen?

Arbeiten Freiberuflerinnen als Netzwerk oder kleine Gemeinschaft für große Auftraggeber, so kann dies schon strukturell eine Herausforderung sein. Noch deutlicher wird der Größen-Unterschied, wenn Sie der auftraggebenden Organisation ohne Kolleginnen, allein gegenüber stehen.

Während Sie hier einerseits oft ganz gemütlich auf der Mensch-zu-Mensch-Ebene kommunizieren, begegnen sich zugleich zwei ungleiche Systeme. Hier trifft Ihr kleines – und als Gründerin sehr junges – Ein-Frau-Unternehmen häufig auf Organisationen mit langer Geschichte, komplexen Strukturen, eigenen Mythen, Ritualen und Wertsystemen, kollegialen Intrigen, Abteilungskrisen, wilden Befürchtungen und realen Bedrohungen.

Neben der Kunst, hier mit Ihren Kontaktpersonen erfolgreich zu kooperieren, ist auch die souveräne Kooperation der Mini-Organisation ‚Freiberuflerin’ mit der Kunden-Organisation gefragt. Denn deren Mythen, Strukturen und Werte mischen sich fast zwangsläufig in die Begegnung von Mensch zu Mensch.

Welche Regeln dabei gelten, erschließen z. B. folgende Fragen: Welche Position hat Ihr Gegenüber in seiner bzw. ihrer Firma oder Verwaltung? Welche Sach- und welche Beziehungszwänge der Kunden-Organisation wirken sich auf Ihre Arbeitsbeziehung aus? Wer entscheidet wirklich was? Welche Konsequenzen hat das für Ihre Arbeit? Unter welchem Druck und in welchen hierarchischen Bezügen steht Ihre Kontaktperson dabei womöglich? Wie gestalten Sie Ihre Rolle und die Beziehung zu ihr? Und wie ist – im Unterschied dazu – Ihre Rolle im Verhältnis zur ganzen Abteilung und Firma?

Schon eine gut gemeinte Absprache mit der Chefin Ihres Kontaktmanns kann diesen verführen, sich übergangen zu fühlen. Schon eine arglose Bemerkung über offensichtliche Firmenprobleme kann Sie zur treulosen Aufwieglerin stempeln. Wer ausspricht, was andere (selbst wenn sie es wissen) nicht hören mögen, muss mit deutlicher Abwehr rechnen.

Als Externe sind Ihre Rechte begrenzt. Schützen Sie sich daher durch sensible Vorsicht. Ist die Situation verwickelt, kann kollegiale Beratung oder Supervision Sie unterstützen, die Fäden zu entwirren und selbst hartnäckige Knoten zu lösen.

Netze & Kooperationen

Arbeiten Sie verbindlich mit anderen Freien zusammen, kann dies Ihre Position gegenüber größeren Auftraggebern deutlich stärken – vorausgesetzt, Sie passen wirklich gut zueinander. Dann bilden auch Sie eine kleine Organisation. Dann können auch Sie als Gruppe agieren, beobachten, auswerten, Pläne schmieden, Ziele verfolgen, sich Bälle zuspielen, darauf achten, dass Spielregeln eingehalten werden etc. Sozialpsychologische Experimente haben schon Mitte des 20. Jahrhunderts festgestellt, dass Einzelne in Gruppen wenig Einfluss nehmen können. Sobald jedoch mindestens zwei geschickt daran arbeiteten, funktionierte das Spiel erheblich besser.

Innerhalb einer Organisation zu arbeiten, erfordert nicht nur Ein- bzw. Unterordnung. Es versorgt die Menschen auch mit relativer Sicherheit und Zugehörigkeit. Teil der Organisation zu sein, bedeutet auch Teilhabe an ihrer Stärke, ihrem Ruf und ihren Beziehungen. Wer hingegen seine eigene Organisation bildet, benötigt selbst ein starkes Rückgrat: ist allein für Sicherheit, Ruf, Strukturen und Beziehungen verantwortlich.

Freiberufliche Kooperationen haben viele Vorteile. Aber von jetzt auf gleich beschließen lassen sie sich nicht. Sie brauchen Vertrauen und Verbindlichkeit, müssen also wachsen und gedeihen. Bis dahin kann auch klein und fein immer noch beautiful sein. Auch David war dem Riesen Goliath überlegen. Nicht zuletzt, weil er beider Vor- und Nachteile kannte und zu nutzen wusste.

08/15 oder 007? - Von unheimlichen Aufträgen und geheimen Missionen

Für viele freiberufliche Dienstleistungen gilt: Hinter dem offen benannten Auftrag stehen geheime Missionen. Selbst Jobs, die ganz und gar gewöhnlich klingen, führen nicht selten hintergründige Absichten mit sich, für die Sie offiziell nicht bezahlt werden. Dennoch sind die geheimen Wünsche der Auftraggeber nicht selten der wahre Grund für den wunderbaren Auftrag. – Also kann es Ihrem Erfolg durchaus dienen, für derlei Geheim-Aufträge sensibel zu sein. Folgeaufträge wird es manchmal nur geben, wenn Sie nicht nur den 08/15-, sondern auch den 007-Job perfekt erfüllt haben.

Abgesehen davon birgt jede 007-Mission naturgemäß ein hohes Berufsrisiko: Im verborgenen Auftragspotenzial stehen i. d. R. erheblich mehr Fallen und Fettnäpfchen bereit, als der sachliche Kontrakt erahnen lässt. Im negativen Fall wurde dieser Teil der Mission aus guten Gründen verheimlicht. Also: Augen, Ohren und Nase auf! Schulen Sie Ihren siebten Sinn fürs Nichtgesagte: Liefert Ihre redliche Arbeit die Vorlage für die nächsten Entlassungen? Sollen Sie indirekt die Kollegin aus der anderen Abteilung blamieren? Geht es weniger um Information als um Manipulation? Stehen die nächsten Wahlen vor der Tür? Oder sucht Ihr Auftraggeber vor allem einen Sündenbock, der seinen Leuten sagt, was der Chef sich lieber verkneift?

Solche Dinge werden gern an Externe vergeben. Verständlicherweise. Aber für die Externen sind diese Jobs meist entsprechend anstrengend. 007 sollte sich nicht wundern, dass die Gegner sie für ihre Arbeit nicht lieben.

Vielleicht ist die geheime Mission auch ganz akzeptabel oder gar spannender als die offiziell vereinbarte Leistung. Für jeden Fall gilt: Geheime Missionen werden inkognito erfüllt. Besprechbar sind sie eher selten.

(....)"

aus: Dorle Weyers: Kopfarbeit kalkulieren & verkaufen. Von Honorarjobs zu professioneller Selbstständigkeit. (2. Aufl., Münster 2004)

 

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