Konfliktgespräche führen
Sind Sie reif für zwei Inseln?
Haben Sie Differenzen und gerade wenig Ideen, wie Sie damit umgehen sollen? Steht ein Konfliktgespräch an, und Sie fragen sich, wie dies nur gelingen soll? Drehen sich Ihre Diskussionen bei bestimmten Themen immer wieder ergebnislos im Kreis? Haben Sie den Eindruck, in wichtigen Fragen vom Anderen nicht verstanden zu werden?
Effektive Hilfe bietet in all diesen Situationen die ebenso wirkungsvolle wie einfache Gesprächsstruktur ‚Meine Insel - Deine Insel‘. Die klare Abfolge gibt dem Gespräch 1.) einen sicheren Rahmen, um z. B. Konfliktgespräche zu führen. Zudem sorgt sie dafür, dass wir 2.) Missverständnisse vermeiden und 3.) uns auch bei Konfliktgesprächen richtig zuhören, statt innerlich schon unsere Antwort zu formulieren, während wir nur noch auf eine Atempause unseres Gegenübers warten.
Konfliktgespräche mit Struktur statt Chaos
Die Struktur einzuhalten hilft uns, 4.) gewohnte Muster zu unterbrechen. Je festgefahrener diese sind, desto wichtiger und erfolgreicher ist diese Form des kontrollierten Dialogs. Denn oft glauben wir, ohnehin schon zu wissen, was die Anderen sagen. Und damit liegen wir nicht selten falsch. Zuweilen ist die Überraschung groß, dass der Partner oder die Partnerin offenbar etwas ganz anderes gesagt hat, als man selbst 'verstanden' hat.
Deshalb sind die folgenden Spielregeln entscheidend, um nicht wieder im gewohnten (Streit-)Gespräch zu landen. Denn statt zu Konfliktlösungen führt dies oft zu weiteren Verletzungen. Gönnen Sie sich also, sich an die Spielregeln zu halten, und erlauben Sie einander, sich freundlich darauf hinzuweisen, falls Ihnen die Regeln aus dem Blick geraten.
Konfliktgespräche & 'Diversity-Kompetenz'
5.) Trainiert ‚Meine Insel - Deine Insel‘ unsere Fähigkeit, Unterschiede a) wahrzunehmen, b) auszuhalten und c) zu akzeptieren: dass wir die Wirklichkeit unterschiedlich wahrnehmen und bewerten, dass wir wir unterschiedlich empfinden, dass wir verschieden sind. Nicht selten reden wir von unserer 'Insel' und denken, es sei doch klar, wie es hier aussieht. Aber in Wirklichkeit lebt der Eine vielleicht auf Sylt und die Andere auf Gomera oder Sao Tomé.
Risiken & Nebenwirkungen der Konfliktgespräche
Manchmal ist es (noch) nicht möglich, die Sicht des Anderen überhaupt zu hören. Dann kann ein Coaching Sie vielleicht beim Umgang mit Stress & starken Gefühlen unterstützen. Aber manchmal zeigt sich auch, dass die Unterschiede einfach nicht zu überbrücken sind, z. B. wenn wir die Sichtweise des Anderen in zentralen Punkten nicht akzeptieren können oder wollen; oder weil dringend ersehnte Versöhungen oder Entschuldigungen sich als unerreichbar entpuppen. Aber auch dann sind Lösungen meist gesünder als ewiges Leiden.
Tools für den Erste-Hilfe-Kasten:
Konfliktgespräche führen: Meine Insel – Deine Insel
- Nehmen Sie sich eine störungsfreie Zeit: also kein Smartphone, keine Anrufe, keine Anfragen durch die Kinder, keine anderen Tätigkeiten zwischendurch etc. Je nach Thema werden Sie vielleicht 10 Minuten benötigen oder 2 Stunden. In dieser Zeit geht es ausschließlich darum, sich auszutauschen und Konflikte zu lösen oder zu vermeiden.
- Wählen Sie 1 (!) konkretes, klar begrenztes Thema, das Sie klären wollen. Einigen Sie sich drauf. Am besten schreiben Sie es auf, so dass Sie es jederzeit im Blick haben. Ein klar begrenztes Thema wäre z. B. nicht ‚Wie du mit den Kindern umgehst‘, wohl aber ‚‘Wie du auf Jonas reagierst, wenn er wütend ist‘ oder besser noch: ‚Wie du letzten Samstag reagiert hast, als Jonas wütend war, weil er ins Bett sollte.‘
- Entspannen Sie sich: Es geht jetzt nur darum, sich zu verständigen, nicht darum, wer gewinnt.
Stellen Sie sich einfach darauf ein, dass Sie beide das Thema vermutlich sehr unterschiedlich sehen. Das ist normal. Sie haben verschiedene Standpunkte, die Ihre individuelle Sicht bestimmen. Und jedes menschliche Gehirn filtert und bewertet, was wir wahrnehmen und was nicht. So sorgt es leider immer wieder dafür, dass wir 'die Wirklichkeit' sehr verschieden wahrnehmen und erinnern. Es ist tatsächlich, als würden wir auf unterschiedlichen Inseln leben, mit ganz verschiedenen Tieren, Pflanzen und geografischen Gegebenheiten. Wenn Sie mögen, lesen Sie dazu den Text über den 'Umgang mit Unterschieden' hier im Blog. - Entscheiden Sie die Reihenfolge: Wer soll zuerst sprechen (hier A) und wer zuerst zuhören (hier B)?
In diesem Konfliktgespräch soll jede*r seine eigene Redezeit haben. So können Sie beide ganz in Ruhe beschreiben, was Ihnen persönlich wichtig ist. Um sicher zu gehen, dass alles richtig ankommt, sprechen Sie jeweils nur in kleinen Portionen, die B dann kurz wiedergibt. Je zwei bis vier Sätze genügen, sonst wird es für B schwer, gut zuzuhören und das Gehörte wiederzugeben. - A erzählt, wie er/sie das Thema sieht bzw. die Situation erlebt hat. Bleiben Sie dabei bei Ihrem 'inneren Film', sprechen Sie über sich selbst, nicht über den Anderen. Unterscheiden Sie dabei zwischen:
a) der möglichst sachlichen Beschreibung der Situation bzw. Ihrer Wahrnehmung der Situation,
b) Ihren dadurch ausgelösten Gefühlen, spüren Sie nach, wie es Sie berührt hat,
d) Ihren Fantasien, Fragen, Sorgen, Ängsten, Bedürfnissen, Wünschen und Sehnsüchten.
Kurz: Was ist aus Ihrer Sicht geschehen und was hat es in Ihnen bewirkt?
e) Versuchen Sie beim Anderen möglichst keine wunden Punkte zu treffen und keine Knöpfe zu drücken. Vermeiden Sie Vorwürfe, unterlassen Sie unbedingt Entwertungen, Sticheleien und andere Verletzungen. Das geht umso besser, je mehr Sie im Konfliktgespräch von sich und je weniger Sie vom Anderen sprechen.
Nutzen Sie diese wunderbare Gelegenheit zur Selbstreflexion. Erforschen Sie, wie Sie selbst auf bestimmte Themen oder Verhaltensweisen reagieren, was Ihnen gut tut oder täte und was schwierig für Sie ist. Erkennen Sie Ihre wunden Punkte, und erkennen Sie sie an.
Seien Sie subjektiv: Sprechen Sie von Ihren Gefühlen, Gedanken, Reaktionen, nicht davon, was ‚man‘ tut oder wie es Dritten gehen würde, oder was die Anderen auch finden. Übernehmen Sie Ihren Teil der Verantwortung. Es geht gerade nur um Sie beide. - B hört radikal aufmerksam zu: offen, Raum gebend, also ohne Kommentare, Grimassen, Bewertungen und Ablenkungen. Stellen Sie auch keine Fragen, außer, wenn Sie etwas akkustisch nicht verstanden haben. Überlassen Sie es vollkommen A, was er oder sie – unter Berücksichtigung der Regeln 5. a) bis e) – erzählen möchte. Stellen Sie sich einfach vor, Sie würden A's Insel besuchen, und sich dort wie ein Besucher herumführen lassen.
Versuchen Sie in der zuhörenden Rolle, den Anderen (inhaltlich) zu verstehen: Wie sieht es auf A's Insel aus, was gibt es hier zu sehen und zu bedenken? Momentan geht es ausschließlich darum, die Sichtweise von A auf das Konflikt-Thema nachzuvollziehen: zu erfahren, wie die Welt aus seinen bzw. ihren Augen ausssieht und sich anfühlt. Machen Sie kein Insel-Hopping. Darum, wie es auf Ihrer Insel aussieht, geht es gleich, wenn Sie die Rollen tauschen.
Versuchen Sie, sich in A einzufühlen: Wenn ich höre, wie du mich bzw. die Situation erlebt hast, was das bei dir an Gedanken und Gefühlen ausgelöst hat, und wissend, dass du eine andere Vorgeschichte und andere Charakterzüge hast als ich: Kann ich nachvollziehen, welche Gefühle dir das bereitet hat? Kann ich mir vorstellen, wie wichtig bestimmte Aspekte des Geschehenen dadurch für dich sind?
Seien Sie Gast im Erleben des Anderen. Gehen Sie respektvoll mit allem um, was Sie hier anvertraut bekommen. Vergleichen Sie es nicht damit, wie es auf Ihrer Insel aussieht. Versuchen Sie auch nicht, Tiere oder Pflanzen von Ihrer Insel hierher zu importieren. - Spiegeln Sie das Gehörte. Nach jeder 'Portion' gibt B wieder, was A gesagt hat. Je näher Sie beim Original bleiben, desto besser. Geben Sie dabei auch die emotionalen Aspekte wieder, z. B. " Es macht dich wütend, wenn ...", aber ergänzen Sie das gesagt nicht mit anderen Dingen, die Ihnen nun dazu einfallen, auch nicht mit solchen, die A Ihnen selbst schonmal erzählt hat.
A prüft dabei genau, ob B ihn bzw. sie richtig verstanden hat. Ein "Ja, genau!" zeigt, dass alles gut verstanden wurde. Ein "Das Erste stimmt, aber danach meinte ich ...." sorgt für eine eindeutige Verständigung. Bleiben Sie dabei jeweils genau bei der letzten Portion. Wenn sie jetzt noch Diverses ergänzen, stören Sie die hilfreiche Gesprächsstruktur und frustrieren B vielleicht. - Tauschen Sie die Rollen. Am besten ist es, wenn B nun nicht auf die Beschreibungen von A 'antwortet', sondern möglichst 'unvorbelastet' von seiner Insel erzählt.
Nehmen Sie sich für diesen 2. Teil des Konfliktgesprächs am besten ähnlich viel Zeit und Ruhe, wie für den 1. Teil. Erst im 3. Teil (hier Punkt 9 und 10) wird es dann um mögliche Lösungen gehen. - Sammeln Sie Lösungsideen. Lassen sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Welche Lösungen würden Ihren Freund*innen einfallen? Wie würden z. B. Politiker diese Konflikte lösen, wie Managerinnen, wie Kinder, wie Eltern oder wie Gauner? Einzige Regel: Vermeiden Sie Entwertungen und andere Kränkungen.
- Suchen Sie die beste Lösung für Sie beide aus. Wie können Sie Ihre Fragen oder Probleme am besten lösen? Werten Sie aus, welche Ideen am stärksten geeignet sind, Ihrer beider Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen. Suchen Sie nicht nach der 100-%-Lösung. Am besten für Ihre Beziehung ist, was Ihnen beiden möglichst viel ermöglicht.
- Geben Sie nicht auf! Gelingt es Ihnen trotz der Struktur zzt. nicht, konstruktive, lösungsorienierte Gespräche zu führen, vereinbaren Sie einen Termin zur Paartherapie, Mediation oder zur Paarberatung online. So einfach es klingt, so schwer können solche Gespräche sein, wenn wir sehr verletzt oder wütend sind, oder wenn die Sicht des Anderen für uns kaum auszuhalten ist.
Die Gesprächsstruktur 'Meine Insel – Deine Insel' eignet sich nicht nur für Paare, sondern für jeden Austausch und alle Konfliktgespräche zwischen Menschen, die sich hierarchiefrei verständigen und gemeinsam gute Lösungen finden wollen.