Schulen als Lernraum gestalten

Hier ein Auszug aus einem Sachtext, den ich 2001 mit TextSinn für eine Publikation der Stadt Münster geschrieben habe. Er bleibt bis heute aktuell, denn es geht um:

  • unsere Wahrnehmung von Lern- und anderen Räumen,
  • die Frage, wie und wodurch Räume auf uns wirken,
  • um Wechselwirkungen und Wertschätzung und
  • darum, wie Gestaltung mit einfachen Mitteln gelingen kann.

Weyers, Dorle (2001): Schulräume Lebensräume. Wie Münsters Schulen Räume neu gestalten. Projektplanung, Durchführung, Hintergründe. (Hg. von der Stadt Münster)

 

Schulische Freiräume wirkungsvoll gestalten

Je selbstverständlicher eine Sache ist, desto leichter gerät sie im Alltag aus dem Blick. „Räume“ sind so eine alltägliche Angelegenheit.

In ihnen verbringen wir unser Leben. Ob privat oder öffentlich, ob innen oder außen, ob Arbeits- oder Freizeitraum – Räume beeinflussen unsere Empfindungen, unsere Aktivitäten, unsere Lebensqualität. Sie geben Frei-Raum oder schränken ihn ein. Räume stimulieren – zu Bewegung, zum Träumen, zum Nachdenken, zum Lachen, zum Weinen, zum Lernen – oder sie tun es nicht. Ohne Raum könnten wir nicht sein, nicht wahrnehmen, nicht denken, nicht handeln. (1)

Mindestens (!) 15.000 Stunden ihres Lebens verbringen Schülerinnen und Schüler in der Bundesrepublik Deutschland in Schulräumen (Becker 1997: 214): in Klassenzimmern, Turnhallen, Physiklabors, Musikräumen, in Pausenhallen, auf dem Schulhof, auf Fluren, in Cafeterien und weiteren Räumen. Für Lehrerinnen und Lehrer bleibt das Schulgebäude in der Regel ein Arbeitsleben lang der meistfrequentierte Ort neben dem eigenen Zuhause.

Schon diese Quantität ist Grund genug für mehr Qualität. Schulräume positiv zu gestalten, dafür spricht nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern ebenfalls eine vielseitige Forschung aus Pädagogik, Psychologie, Philosophie und Anthropologie. Maßgeblich für die Gestaltung eines Raumes ist, was seine Nutzer mit ihm machen werden und was er ihnen bieten soll.

Räume wahrnehmen

„Wahrnehmen ist grundlegend für ästhetische Erfahrung und bewirkt psychisches Wachstum und Lernen“ (Csikszentmihalyi/ Rochberg-Halton 1989: 188). Schulen wahrnehmungsfördernd zu gestalten ist schon deshalb eine wichtige Basis, um ästhetische, psychische und kognitive Kompetenzen zu begünstigen. Weil Wahrnehmung individuellen, kulturellen und objektiven Regeln folgt, ist dies eine komplexe Aufgabe:

Wahrnehmen ist stets das Erste, was wir mit einem Raum „machen“: Wir sehen, riechen, hören, fühlen ihn, seine Begrenzungen und was sich darin befindet. (2) Dies geschieht zum großen Teil unbewusst, denn solch kontinuierlichen Aktivitäten schenken wir i. d. R. wenig Aufmerksamkeit.

Nahezu unbemerkt verläuft zwischen unserer Umgebung und unserem Körper ein ebenso komplexer wie selektiver biologischer, physikalischer, chemischer und psychologischer Austausch. Augen, Ohren, Nase, Nerven und Gehirn wählen permanent aus, was schließlich als Wahrnehmung bei uns ankommen soll. So schützen sie uns davor, durch Reizüberflutung handlungsunfähig zu werden. Neben der lebensnotwendigen Selektivität unserer Sinne spielt die persönliche Biografie hierbei eine wesentliche Rolle: Was wir in und mit Räumen erleben, prägt unsere weitere Wahrnehmung. Es sensibilisiert für bestimmte Reize, und es lässt den Sinnen anderes einfach „durchgehen“, als sei es nicht gewesen.

Diese subjektive Wahrnehmung ist stets in kulturelle Rahmenbedingungen eingebunden: Ob und wie differenziert wir etwas überhaupt wahrnehmen können, ist auch von den Kulturen abhängig, in denen wir leben. Ein populäres Beispiel dafür sind die vielen Schnee-Nuancen, zwischen denen die Inuit – im Gegensatz z. B. zu Europäern – zu unterscheiden wissen.

Zugleich verfügen Räume und Objekte jedoch über „intrinsische Qualitäten“, die von kulturellen und subjektiven Einflüssen unabhängig sind (vgl. Csikszentmihalyi/ Rochberg-Halton 1989: 185ff). Nicht jeder Gegenstand kann jede Funktion erfüllen oder jede beliebige Assoziation wecken, und nicht jeder Raum kann die Atmosphäre z. B. einer Kathedrale auslösen – oder die eines Klassenzimmers.

Eine sinnvolle Gestaltung von Räumen bedeutet in jedem Fall mehr als „schöne Räume“, es erfordert funktionale und bewohnbare Räume: „Schulraum ist in diesem Sinne ‚human‘, wenn er funktional ist, d. h. seine Gestaltung den Lernprozess unterstützt, und gleichzeitig auch den biologischen und sozialen Bedürfnissen der Benutzer entspricht“ (Forster 1997:181f nach Taylor/Gousie 1988).

Raum zum Wohlfühlen und Nutzen

Räume wirken durch Farben, Formen, Materialien, Positionen, Menge, Struktur, Temperatur, Dichte und durch ihren Grad an Offenheit. Menschen reagieren hierauf körperlich und psychisch. Raumwirkungen sind folglich messbar: z. B. durch Interviews, an Atmung, Muskeln, Eigenbewegungs – und Gleichgewichts-Empfinden. Ebenso wie die Wahrnehmung sind auch die Wirkungen von Räumen eine komplizierte Mischung aus objektiven und subjektiven Effekten. Was dabei genau geschieht, wurde in den vergangenen Jahrzehnten vielfach untersucht und diskutiert. Aus den Ergebnissen lassen sich vier zentrale Kriterien herauskristallisieren, die bei Raumgestaltungen zu berücksichtigen sind:

Ordnung und Überschaubarkeit

Richtungen und Perspektiven sind keinesfalls belanglos. Eine Gelegenheit, den „Überblick“ zu haben, ist ebenso wichtig wie es ist, zwischen oben und unten, links und rechts unterscheiden zu können (vgl. z. B. Herz 1996, Noack 1996). Dies spricht für überschaubare Größen, erhöhte Standpunkte, schöne Aussichten und für Ordnungen, die die Orientierung erleichtern. All dies erfordert zum Beispiel:

  • deutlich strukturierte Räume, die Nischen und Ecken für verschiedene Nutzungen anbieten;
  • obere Etagen, die sehen lassen, was unten los ist, und die einen Perspektivenwechsel ermöglichen;
  • Fenster auf Augenhöhe mit attraktivem Ausblick;
  • Wege, auf denen die Kinder und Jugendlichen wissen, wo sie sind, und auf denen sie leicht zum Ziel kommen, die also Sicherheit geben, Bewegung ermöglichen und Eigenständigkeit fördern.

Freiheit und Geborgenheit

Ecken und Nischen bieten Rückendeckung, die Möglichkeit zu ungestörtem Spiel und zu Privatheit. Auf diese Weise vermögen sie, ein schwieriges Paar zu vereinen: Sie vermitteln Freiheit und Geborgenheit zugleich. Auch Schülerinnen und Schüler wissen diese Kombination zu schätzen. Schon einfache Beobachtungen auf Pausenhöfen belegen, welche Orte sie bevorzugen (vgl. z. B. Schünemann 1983, nach Forster 1997:178).

Wichtige Gefühle können bereits „auf den ersten Blick“ entstehen. So rufen z. B. bestimmte Formen, die wir sehen, ein Gefühl von Freiheit hervor, während andere Formen das Gegenteil bewirken. Türmchen, Erker und aufragende Giebel legen „eine gewisse Freiheit und ‚Entgrenzung‘“ nahe, geschwungene Formen lassen eine Schule bewegt und lebendig wirken, Kastenformen hingegen provozieren einen starren, leblosen Eindruck (Rittelmeyer 1991: 76ff – vgl. hier: Kasten auf Seite 5). Auch haben Farben spezifische Bedeutungen und Wirkungen, die besonders stark kulturell und biografisch geprägt sind: „Hauptsache schön bunt“ kann nicht die Devise für Schulgebäude sein.

Stimulierung und Ruhe

Der Raum, in dem wir uns gerade befinden, entscheidet mit darüber, wie wir situativ wahrnehmen: Beste Chancen hat ein „reizvolles“ Mittelmaß, also „ein ausgeglichenes Verhältnis von Varianz (oder ‚Chaos‘) und Ordnung“ (Forster 1997:180). Zu viele Reize überfordern unsere Sinne, zu wenig Reize führen zu gelangweiltem Nicht-Wahrnehmen.
Um die Balance zwischen Stimulierung und Ruhe zu ermöglichen, muss ein ausgewogenes Verhältnis von Dichte und Distanz gewahrt bleiben. Dies betrifft Menschen ebenso wie Dinge und andere Reize. Jeder Mensch braucht Stimulierungen durch andere Menschen und durch Objekte. Wer in abwechslungsreichen Räumen lernt, muss seine „Suche nach Stimulierungen“ nicht durch Störung des Unterrichts ausagieren (A. Wasson 1980 nach Forster 1997:181). Nicht nur der Unterricht, schon das Umfeld kann eben mehr oder weniger spannend sein. Langweilige Räume stimulieren Schülerinnen und Schüler, sich auf andere Weise Aufmerksamkeit zu verschaffen. Räume, die zu viele Reize anbieten, sind ebenso dysfunktional: Sie absorbieren Aufmerksamkeit.

Wechselseitige Wertschätzung

Noch in einer weiteren Hinsicht können Räume helfen, Aggressionen zu verringern: indem sie Wertschätzung und Respekt signalisieren. Ein mit Bedacht und Wohlwollen gestalteter Raum vermittelt, dass seine Nutzerinnen und Nutzer bei den „Gastgebern“ willkommen sind, die diesen Raum zur Verfügung stellen. „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus.“ – Weil dies allzu oft gilt, provozieren Räume, die selbst keine Wertschätzung ausstrahlen, oft genug Geringschätzung und Zerstörung als Reaktion. (3)

Raum für Aneignung und Veränderung

Menschen eignen sich Räume an, indem sie sie erkunden, gestalten und in Besitz nehmen, ihnen Funktionen zuweisen, sie gliedern und Nutzungsregeln aufstellen. Auf diese Weise entwickeln wir unsere Lebenswelt. Es bedeutet: Subjekt sein, sozial sein, Einfluss nehmen und teilhaben.

Schule ist einer der Orte, an denen Kinder und Jugendliche lernen können, ihre Lebenswelt mitzugestalten. Dabei erfahren sie, dass Raumaneignung funktioniert und wie sie funktioniert – organisatorisch, handwerklich und sozial: Ideen sammeln, klären, wer was zu entscheiden hat, Material beschaffen und verarbeiten, Hilfe geben und nehmen, Bauvorschriften kennen lernen und einhalten, Arbeit teilen, an Grenzen stoßen, neue Lösungen finden, gemeinsam durchhalten, Interessen vertreten, Kompromisse machen, sich einigen ... und schließlich den gemeinsamen Erfolg genießen.

Menschen müssen ihre Umwelt gestalten, um darin leben zu können. Und Menschen wollen ihre Umwelt gestalten, um sie zu „ihrer“ Welt zu machen: Menschen wollen Spuren hinterlassen. Das gilt auch in der Schule. Kinder und Jugendliche, die hierzu keinen Raum erhalten, hinterlassen oft genug unerwünschte Gestaltungen: Graffitis, durchbohrte Tische, zertrümmerte WCs, kaputte Fenster. „Auf die Dauer ist Raum, in dem das Leben seine Spuren hinterlassen kann, ebenso elementar wie Wasser und Luft für menschliches Überleben“ (Ivan Illich, zit. nach Mahlke/ Schwarte 1991: 33).

Während zu Hause die „feinen Unterschiede“ sozialer und kultureller Differenz die individuellen Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen definieren, hat Schule als gesellschaftlicher Ort die Chance, allen Schülerinnen und Schülern die gleichen Optionen zu eröffnen, ihre Umwelt mitzugestalten. Dabei erfahren sie auch, dass der öffentliche Ort „Schule“ nicht das Objekt rein individueller Gestaltungsinteressen sein kann, sondern stets eine kollektive Angelegenheit sein muss.

Um auch denjenigen, die morgen kommen, die Chance hierzu zu geben, sollte Schulraumgestaltung niemals gänzlich abgeschlossen werden: „Immer muss es Unfertiges, noch zu Gestaltendes oder Umzuänderndes, sozusagen Nischen der Verwandlung des Bestehenden geben“ (Dietrich 1998: 42).(4)

Wer einen Schulraum gestaltet, gestaltet die Institution Schule. Einem Raum ein neues Gesicht zu geben, neue Farben, Formen und Funktionen einzuführen bedeutet, am Profil der Schule mitzuwirken, Schule zu verändern.

Räume zum Lernen

Einer Sache Raum zu geben heißt, sie zu ermöglichen. Deshalb hat „die auf das Kind bezogene Architektur die raum-zeitliche Ermöglichungsform der Entwicklungsprozesse des Kindes zu sein“. Das forderte Hugo Kükelhaus in seinem Buch „Organismus und Technik“ (1978: 56, zit. nach Mahlke/ Schwarte 1991: 23). Architektur als „Ermöglichungsform“ ist die Voraussetzung für positive Entwicklungen.

Auch Räume sind Aspekte des heimlichen Lehrplans. Jeder Raum, jeder Wandschmuck, jedes Fenster ist Teil des schulischen Bildungsprozesses. Die materielle Gestaltung der Schule entscheidet mit darüber, wie ein Mensch heute lernen kann und wie er zukünftig lernen wird. Sie entmutigt oder ermutigt zum Lernen (James Banning, Prof. der Psychologie, zit. nach Kleberg 1994: 32). Ernest Pascarella u.a. fassten 1991 in einem Forschungsüberblick zusammen, „How College Affects Students“. Ihre Ergebnisse betreffen auch die Gestaltung von Schulräumen:

„Die ersten Begegnungen mit der Institution und ihren Mitgliedern können den späteren Grad der Verbundenheit und das Streben nach intellektuellen Leistungen tiefgreifend beeinflussen.“ Und: „Wenn Schüler bzw. Studenten sich engagiert mit ihrem Klassenraum befassen, so ist eindeutig ihre Beteiligung und kognitive Entwicklung vermehrt“ (zit. nach Kleberg 1994: 30). Anders gesagt: Wer sich in seiner Umgebung wohl fühlt, sie mitgestaltet und sich mit ihr identifizieren kann, lernt – heute und zukünftig – mit mehr Spaß und besser.

Schulräume für die Gesellschaft

In den meisten Städten gibt es gegenwärtig kaum noch „brachliegende“ Räume, die Kinder und Jugendliche eigenständig nutzen können. Die meisten Orte sind bereits vergeben, werden verwaltet, erfüllen festgelegte, oft sehr spezialisierte Funktionen, meist sind sie je größer desto unzugänglicher. Die Neugestaltung von Räumen in der Schule eröffnet den Beteiligten die Option, ihre Nutzung mitzubestimmen.

Schulräume erfüllen eine Vielzahl von Funktionen. Sie sind nicht nur Lehr – und Lernraum, sondern auch Experimentierraum, sozialer Raum, Spiel – und Bewegungsraum, Erholungs – und Kommunikationsraum. Ihre Gestaltung entscheidet, welche dieser Funktionen hier mehr „Raum“ erhalten soll. Sie zeigt, was an der Schule erwünscht und gestattet ist. Im Idealfall bietet eine Schule hinreichend Orte für verschiedene Formen des Lehrens und Lernens, für Stille und für Lärm, zum Ausruhen und zum Toben; Orte, die es ermöglichen, sich zu zeigen, die eigenen Leistungen zu präsentieren und sich zurückzuziehen; Orte, die es ermöglichen, sich mit seiner Umgebung zu identifizieren und sich abzugrenzen, die genügend Sicherheit bieten, um den Umgang mit Risiken zu erlernen usw. Die mitbestimmte Nutzung schulischer Freiräume schafft Gelegenheiten, gemeinsam zu agieren, zu entscheiden, Interessen umzusetzen und Spaß zu haben.

Jede Gesellschaft braucht Menschen, die ihre Umwelt aktiv und respektvoll gestalten; Menschen, die gerne lernen, weil lebenslanges Lernen heute auf jeder Tagesordnung steht; Menschen, die beruflich und privat Verantwortung für sich und die Gemeinschaft übernehmen. Schule ist einer der Orte, der diesen Fähigkeiten und Einstellungen Raum geben kann. Aus aktiven Schülerinnen und Schülern, die ihre Umgebung positiv gestalten, werden engagierte und verantwortungsfähige Erwachsene.

 

Anmerkungen:

(1) Kant beschreibt den Raum als Bedingung für jede Wahrnehmung: „man kann sich niemals die Vorstellung machen, daß kein Raum sei ... er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen ... angesehen ...“ heißt es in der „Kritik der reinen Vernunft“ von 1781 (Kant 1977:72 nach Becker u.a. 1997:9).

(2) In welchen Phasen sich „das räumliche Denken beim Kinde“ entwickelt, hat Jean Piaget bereits 1948 beschrieben.

(3) Der Pädagogik-Professor Chr. Rittelmeyer spricht in diesem Zusammenhang gar von „Architektur als Körperverletzung“ (Die Zeit, 7.3.97).

(4) Der Architektursoziologe Lucius Burckhard stellte 1976 im Umgang mit Schul- und anderen Gebäuden eine grundsätzliche „Trennung von Bauen und Benützen“ fest. Diese „beruht auf der Konvention, Gebäude seien nach der Bauzeit vollendet“ (zit. nach Mahlke/ Schwarte 1991: 59f). Sinnvolle Schulraumgestaltung erfordert, diese Trennung aufzulösen.

Der Göttinger Pädagoge Christian Rittelmeyer und sein Team untersuchten in einem mehrjährigen Forschungsprojekt, wie Schülerinnen und Schüler auf Farben und Formen von Schulgebäuden reagieren. Ihre Ergebnisse zeigen, wie Gestaltungen von Schulen generell oder auch individuell auf Menschen wirken; z. B.:

  • Kräftige Farben sind kein Allheilmittel für kränklich-graue Architektur. Knallbunte Regenbögen und gut gemeinte, satt gelbe Sonnen können auf Schülerinnen und Schüler „emotional bedrängend“ und „veralbernd“ wirken (Kammertöns: 1997).
  • Während das menschliche Auge die Welt kontinuierlich mit so genannten Fixationsbewe­gungen „abtastet“ und sondiert, beeinflusst es unser Eigenbewegungs-Empfinden. Das Auge vollzieht Formen nach, die es sieht: "charakteristische Merkmale der Baugestalt (werden) reproduziert“. Kastenformen provozieren daher häufige Hin- und Herbewegungen. Geschwungene Formen hingegen sind prädestiniert für „kreis- und bogenförmige Bewegungen, Ein- und Ausrollungen des Blickverlaufs“. Weil auch die Augen ein Teil des Körpers sind, registrieren wir ihre Bewegungen – meist unbewusst – als Eigenbewegungen, d. h. als „motorische Erlebnisse“. Auf diesem Wege entscheiden unsere Sehorgane (mit) darüber, ob eine Schule bei uns einen bewegten, lebendigen oder einen starren, leblosen Eindruck hinterlässt.
  • Senkrechte Linien wirken anders als horizontale. Interviews mit den Versuchspersonen zeigten, dass z. B. Türmchen, Erker und aufragende Giebel Gefühle von „einer gewissen Freiheit und ‚Entgrenzung‘“ nahelegen. Offensichtlich versucht das Auge gerne, den architektonischen Grenzen zu entkommen.
    Die Forschungsergebnisse lassen Rittelmeyer vermuten, dass „ein Bau, der solche Ausbrüche eher bremst als provoziert (...) Antipathien gegen das Raummillieu“ fördert, da er die freie Bewegung der Augen behindert.
    Schrägen Konturen folgt das Auge seltener. Durch deutliche Gegenbewegungen scheint es die Schrägen ausgleichen zu wollen. Dass optische Schrägen das Gleichgewichts-Empfinden irritieren können, hatten früher bereits amerikanische Untersuchungen belegt. Rittelmeyer stellte darüber hinaus fest, dass jedoch gegenläufige Schrägen im gleichen Raum einander ausgleichen können. Ein solches Ab- und wieder Aufschwingen von Gegenständen und Linien im Raum empfinden manche Menschen als bedrückend, andere als „lebendig, interessant oder anregend“.
  • Atemfrequenz, Muskelanspannung und Interviews dienten als Indikatoren für die erstaunlich individuelle Wirkung von Farben und Raumformen auf verschiedene Menschen. Was den einen bedrückend und beklemmend erscheint, kann bei anderen eine „meditative Stimmung“ herbeiführen.

Quellen:

Rittelmeyer, Christian: Schulbauten positiv gestalten. Wie Schüler Farben und Formen erleben. Wiesbaden 1994.

Rittelmeyer, Christian: Schöne Schulen sind gesünder. In: Schulpraxis, Jg. 11, 1991: Seite 76 – 80.